Auftakt zum Mahler-Scartazzini-Zyklus

»Wir wollen etwas schaffen, das bleibt.«

 

Simon Gaudenz, neuer Generalmusikdirektor der Jenaer Philharmonie, kündigte mit diesen Worten das großartige Projekt an, Sinfonien Gustav Mahlers mit eigens für die Jenaer Philharmonie geschaffenen Arbeiten des international renommierten Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini zu kombinieren. Damit beginnt der Aufakt von Simon Gaudenz in Jena mit einem Paukenschlag. Denn Scartazzini wird als Composer in Residence exklusiv den ganzen Zyklus begleiten und neue Stücke komponieren, die sich thematisch auf Mahler beziehen. Dadurch werden Mahlers Werke in neuem Licht erscheinen und durch unendlich viele neue Facetten bereichert.

 

Gustav Mahler und Andrea Lorenzo Scartazzini verbindet ihre emotionale Tonsprache, obgleich sie über 100 Jahre an Lebenszeit trennen. Mahler, 1860 in Böhmen geboren, ist einer der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik. Seine Werke waren wegweisend für die Vertreter der Zweiten Wiener Schule und Wegbereiter der Neuen Musik. Mahler war auf der Suche nach der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmittel. Er brach die traditionelle Form der Sinfonie auf und schuf groß angelegte Werke, in denen er die Tonsprache erweiterte, ohne auf die Tonalität zu verzichten. Er bezog damals als niedere Kunst geltende Weisen wie Kaffeehauslieder und slawische Volksmusik ebenso in seine Kompositionen ein wie militärische Marschmusiken und Trauermärsche. In stilisierten Naturlauten spiegelt sich Mahlers große Liebe zur Natur wider, aus der er viel Kraf und Inspiration schöpfe. Ein Volksliedton prägt viele seiner Temen. Mahler wollte nicht nur Musik schaffen, sondern den ganzen Kosmos gestalten. Oder wie er es mit seinen eigenen Worten ausdrückte: „Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.“ Zu seinen Lebzeiten war Mahler einer der berühmtesten Dirigenten, und in Personalunion als Regisseur und Dirigent setzte er in seiner langjährigen Stellung als Direktor der Hofoper in Wien erstmals so etwas wie ein modernes Regietheater um. Eine eigene Oper hat Gustav Mahler nicht geschrieben, wohingegen dieses Genre den bisherigen Schwerpunkt des kompositorischen Schaffens von Andrea Lorenzo Scartazzini bildet.

 

Scartazzini, geboren 1971 in Basel, ist ein mehrfach ausgezeichneter Komponist der jüngeren Generation. Zu seinen Preisen zählen der Studienpreis der Ernst von Siemens Stiftung München, der JacobBurckhardt-Preis der Goethe-Stifung Basel sowie der Alexander Clavel-Preis Riehen. Seine Stücke werden an bedeutenden Festivals (u. a. Salzburger Osterfestspiele, Lucerne Festival, Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt, Prager Premieren), an renommierten Häusern (Deutsche Oper Berlin, Teater Basel) durch namhafe Ensembles und Orchester aufgeführt (u. a. Ensemble Intercontemporain, Collegium Novum Zürich, Kammerorchester Basel).

 

Die Tonsprache Andrea Lorenzo Scartazzinis und Gustav Mahlers ist sehr farbig, bildgewaltig, sinnlich, dicht, unmittelbar, von aufwühlender Emotionalität. Beide schätzen das Gesangliche in der Musik und inkorporieren es immer wieder in unterschiedlichster Art und Weise in ihre Kompositionen – beste Voraussetzungen für
die drei Jenaer Sängerensembles. Scartazzini ist ein kongenialer Partner, um mit Mahlers dramatischer, vielschichtiger Musik heute in Kontakt zu treten.

Die Kompositionen, die Andrea Lorenzo Scartazzini für Jena schreiben wird, beziehen sich auf die aufgeführten Sinfonien Gustav Mahlers und werden an den jeweiligen Konzertabenden von der Philharmonie Jena uraufgeführt. Gleichzeitig sind Scartazzinis Kompositionen eigenständige Werke, die unabhängig von den Mahlerschen Kompositionen aufgeführt werden können. Mit jeder Aufführung einer Sinfonie von Mahler wächst Scartazzinis Werk, bis daraus ein einziges groß angelegtes Orchesterstück entsteht. Alle Kompositionen zusammen können zukünfig entweder als eigenständiges, zusammenhängendes, mehrsätziges Werk aufgeführt werden oder in kleineren Versatzstücken. Damit trägt Scartazzini der Jetztzeit, der Modernität Rechnung, die vom Menschen größte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich stetig verändernde Situationen fordert.

 

Andrea Lorenzo Scartazzini äußerte sich zu seiner Kompositionsweise wie folgt:
Zum Werk Gutav Mahlers hege ich eine tiefe Liebe, seine Symphonien sind tönende Gefhrten seit vielen Jahren und bei jedem Wiederhören bin ich ergriffen von der schieren Fülle an Inspiration und Emotionalität. Ich werde mich an dieem Kosmos nicht abarbeiten, werde nichts zitieren oder kommentieren, wozu auch! Aber ich werde mit Lut auf die illutre Nachbarschaf reagieren, mich abgrenzen oder annähern im Sinne einer übergeordneten Dramaturgie. So soll beide gelingen: da Eigene schaffen und die Brücke schlagen.


Der Mahler-Scartazzini-Zyklus endet nicht bei der einmaligen Idee, Sinfonien Mahlers ein modernes Pendant mit neuen Werken von Scartazzini gegenüberzustellen. Nein, dieses Projekt setzt sich in Workshops, Treffen mit dem Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini und dem neuen Generalmusikdirektor Simon Gaudenz, in Podiumsdiskussionen, mit Besuchen bei Schülern in der Schule und vielen weiteren Aktionen fort.

 

Nehmen auch Sie an diesem einzigartigen Projekt teil!

 

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Und - ein kurzer Rückblick auf eine weitere intensive Beschäftigung mit Mahler - zu Gast beim Staatsorchester Darmstadt mit Mahlers Neunter:

"Gaudenz suchte mit präzisen, ausholenden Bewegungen nicht nur Klarheit, sondern auch intensiven Ausdruck zu vermitteln und die Extreme zwischen Wohlklang und Dissonanz, Aggressivität und Resignation auf einen Nenner zu bringen. Dies gelang vor allem wegen des äußerst aufmerksam mitgehenden Orchesters, das den Farbenreichtum dieses sinfonischen Breitwandgemäldes bezwingend umsetzte. Den „Lebenstrubel“ des Kopfsatzes, der in den „schweren Kondukt“ eines Trauermarsches mündet, die hintergründige Scheinwelt des Ländlers im zweiten Satz, die diabolisch aufspringende Burleske des dritten Satzes und vor allem das tiefgründige Adagio, das sich bis zum „Adagissimo“ verlangsamt und schließlich im Nichts endet, erlebte man bei dieser Wiedergabe geradezu bildhaft mit."

Darmstädter Echo

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