Mahler-Scartazzini: der Zyklus ist vollendet!
Der Veröffentlichung von Mahlers Sinfonie der Tausend und seiner Neunten samt Scartazzinis "Anima" und "Enigma" folgten sogleich erste Rezensionen:
"Im Bann des Erhabenen – Simon Gaudenz überzeugt mit der Jenaer Philharmonie
Eine gelungene Gesamtaufnahme zwischen Weltenbrand und Weltverklärung."
"Schon der Auftakt der Achten wirkt wie ein Sog: Simon Gaudenz entscheidet sich für ein zügiges, gleichwohl organisch atmendes Tempo, das das „Veni Creator Spiritus“ mit einer Mischung aus Strahlkraft und Ernsthaftigkeit eröffnet. Es ist keine triumphierende Apotheose, sondern ein Ringen um Erleuchtung, das sich in fein ausgehörten Spannungsbögen artikuliert. Die Architektur bleibt immer nachvollziehbar, auch in den großen Steigerungen, die aus innerer Notwendigkeit hervorgehen, nie aus reinem Effekt."
"Besonders im Schlussabschnitt, dem „Alles Vergängliche“, gelingt ihm ein bewegender Klangrausch, der nicht pathetisch überhöht, sondern sich aus der musikalischen Logik heraus entfaltet – das ist gelungene Dirigierkunst von bestechender Stringenz und innerer Wahrhaftigkeit."
"Bei der Burleske geht Simon Gaudenz mit seinen wackeren Musikern ins große spielerische Risiko und gewinnt damit auf ganzer Linie. Geradezu diabolisch mit viel Sturm und Drang wird dieser schwere Abschnitt virtuos dargeboten – pointiert, gefährlich, mitreißend."
"Diese vierte Folge der Jenaer Mahler-Edition unter Simon Gaudenz ist ein Meilenstein – nicht nur wegen des monumentalen Repertoires, sondern vor allem wegen der klugen und klar durchdachten Gestaltung. Gaudenz gelingt es, die Extreme der beiden Mahler-Sinfonien auszuleuchten, ohne in plakative Gegensätze zu verfallen."
"Diese Aufnahme ist nicht nur ein weiterer Baustein im Mahler-Kanon – sie ist ein sprechendes Zeugnis dafür, wie lebendig und gegenwärtig diese Musik auch heute noch ist. Simon Gaudenz und die Jenaer Philharmonie sind merklich an diesem riesigen Projekt der Gesamteinspielung gewachsen. Mit der vierten Folge ist sicherlich der zentrale Höhepunkt gesetzt. Keine Frage, diese Mahler-Einspielungen waren ein kühnes Wagnis, bei der überreichen großen und prominenten Konkurrenz. Und doch: Es war richtig, notwendig und mutig, dies zu tun. Großes zu wagen und über sich selbst hinauszuwachsen, ist in dieser Gesamteinspielung faszinierend zu *erleben. Eine beeindruckende künstlerische Aussage – in ihrer Ernsthaftigkeit, Tiefe und gestalterischen Geschlossenheit von großer Relevanz."
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Onlinemerker, 20.06.2025
"Simon Gaudenz und die Jenaer Philharmonie schaffen es, diesen Spannungsbogen der großen Widersprüchlichkeiten und Brüche bis ins finale Pianissimo zu halten, ohne sich selbst als die großen Mahner aufzuspielen. Die Musik sagt alles – Mahler hat (fast) alles gesagt."
"Nach dem Weltschmerz kommt die große Weltumarmung – die allein von der Besetzung her wuchtige 8. Symphonie. Auch hier hat Simon Gaudenz die nötige Sensibilität, das richtige Gespür, den Schöpfergeist nicht einfach sich austoben zu lassen. Kein Spektakel, dafür große Emotionen – klangmächtig, wenn vom Inhalt gefordert, aber auch ebenso zurückgenommen und verinnerlicht – wie etwa im Instrumentalvorspiel des zweiten Teils."
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Pizzicato, 11.06.2025
Herzliche und nachhaltige Begegnungen
Die Saison 24-25 mit der Jenaer Philharmonie war geprägt von der Vollendung des Mahler-Scartazzini-Zyklus, des 2018 begonnenen Projekts, sämtliche Sinfonien Mahlers, kombiniert mit neu komponierten Auftragswerken Andrea Lorenzo Scartazzinis zu spielen und aufzunehmen. Unglaublich, es ist geschafft! Und dies nur dank des einzigartigen Engagements aller beteiligten Akteure:
...zuerst der fantastischen Jenaer Philharmonie, die mit ihrer ganzen Virtuosität, Sensibilität, Kraft, Klangsinn, Gestaltungswillen und ihrer schieren Qualität jedes Konzert zu einem einzigartigen Erlebnis machte
...wie aber auch der Stadt Jena, JenaKultur, Stiftungen wie der Pro Helvetia, dem Tonmeister Aki Matusch und schließlich dem Label Odradek, die an das Projekt glaubten und es von Anfang an und über die gesamte Distanz unterstützten
Weiter unten finden sich die gesammelten Beiträge aus den Saisonbüchern der Jenaer Philharmonie, die einen tiefen Einblick geben in diese fortwährende und inspirierende Beschäftigung mit Scartazzini und Mahler.
Die Saison 25-26 der Jenaer Philharmonie steht ganz im Zeichen des Themas "Licht" sowie Dmitri Schostakowitsch: Immer in Bewegung, ihn umkreisend, seine Unergründlichkeit erforschend: so werden wir den "Planeten Schostakowitsch" erkunden. Hier gibt es das neue Saisonbuch zum Download.
Neben der Jenaer Philharmonie führten zahlreiche Engagements zu wunderbaren künstlerischen Begegnungen, darunter das Konzerthausorchester Berlin, die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, das Staatsorchester Darmstadt, die Nordwestdeutschen Philharmonie, das Kuopio Symphony Orchestra und das Württembergischen Kammerorchester.
Weitere Pressestimmen
Jubel und Ovationen für ein stimmiges Werk
"Die beeindruckende, sehr gelungene Aufführung hat gezeigt, dass Andrea Scartazzinis Zyklus als „Hommage à Gustav Mahler“ so in sich stimmig ist, dass er einen Platz im Repertoire großer Sinfonieorchester beanspruchen kann.
Die beiden Solistinnen, der Jenaer Madrigalkreis, die in allen Instrumentengruppen grandiose Jenaer Philharmonie, ihr Chefdirigent Simon Gaudenz und der Komponist Andrea Scartazzini wurden eine Viertelstunde lang mit Bravos, stehenden Ovationen und herzlichem Beifall gefeiert."
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OTZ, 11.06.2025
Wassermusik
"Simon Gaudenz ließ sie, die tiefen Streich-und Blasinstrumente, das Cembalo und die Pauken ausgenommen, im Stehen musizieren, und so entfaltete sich bereits in der Ouvertüre und noch stärker in allen nachfolgenden Sätzen ein leichter, frischer, sehr transparenter und zugleich eleganter Klang höfisch-barocken Musizierens. So klar und schön ist Händels Musik bisher in Jena nicht erklungen."
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OTZ, 24.03.2025
Mahler-Scartazzini-Zyklus IX
"Für Gustav Mahlers letzte vollendete Sinfonie fanden die Jenaer Philharmonie und ihr Chefdirigent eine eigene, unverwechselbare und sehr berührende Klangsprache."
"Wie die Jenaer Philharmonie unter ihrem Chefdirigenten das Adagio mit seiner Abschiedsstimmung spielte, wie die Musik in den Geigen, Bratschen und Celli im dreifachen Pianissimo wie von selbst verklang, das war zutiefst ergreifend und gehört zum Besten, was die Jenaer Philharmonie innerhalb des Mahler-Scartazzini-Zyklus‘ geleistet hat."
"Das Publikum dankte Andrea Scartazzini, Simon Gaudenz, Evelyn Krahe und der Jenaer Philharmonie mit Bravo-Rufen und langem, enthusiastischem Beifall."
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OTZ, 19.02.2025
Schumanns erste Sinfonie: Wie ein Heimspiel für die Jenaer Philharmonie
"Bei Schumann und seiner bedeutenden ersten Sinfonie, die er im Alter von 30 Jahren in nur vier Tagen niedergeschrieben hatte, ist die Jenaer Philharmonie zu Hause. Wie aus einem Guss spielten die vielen Musikerinnen und Musiker des großen Orchesters die vier Sätze und waren damit auf ihrem ureigensten Terrain. Das dieser Sinfonie zugeschriebene Frühlingshafte und Optimistische, das sich aus der kurzen Lebensphase des Komponisten, in der er äußerlich glücklich und zufrieden war, ergibt, kam gut herüber, nicht zuletzt durch die klare und beherzte Leitung des Generalmusikdirektors des Orchesters, Simon Gaudenz."
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Merkur, 25.01.2025
Grandioses Konzert beschließt Jubiläumsjahr „90 Jahre Jenaer Philharmonie“
"Sergej Rachmaninows 1906/07 in Dresden entstandene Sinfonie Nr. 2 e-Moll op.27 erklang als sinfonisches Hauptwerk des Abends. Im Spiel der von Simon Gaudenz bravourös geleiteten Jenaer Philharmonie entfaltete sich ein feines Gewebe spätromantischer Klänge, aus denen sich langsam Themen und Motive entwickelten, wie im sanft wirkenden Kopfsatz und im Scherzo, das trotz seiner marschartig, folkloristisch geprägten Themen immer lyrisch grundiert blieb."
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OTZ, 15.11.2024
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DER MAHLER-SCARTAZZINI-ZYKLUS
Ein einzigartiges Langzeitprojekt 2018-2025
Dokumentation aus den Saisonbüchern der Jenaer Philharmonie
Saison 18-19
"Wir wollen etwas schaffen, das bleibt."
Ein Mahler-Scartazzini-Zyklus
Simon Gaudenz, neuer Generalmusikdirektor der Jenaer Philharmonie, kündigte mit diesen Worten das großartige Projekt an, Sinfonien Gustav Mahlers mit eigens für die Jenaer Philharmonie geschaffenen Arbeiten des international renommierten Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini zu kombinieren.
Damit beginnt der Auftakt von Simon Gaudenz in Jena mit einem Paukenschlag. Denn Scartazzini wird als Composer in Residence exklusiv den ganzen Zyklus begleiten und neue Stücke komponieren, die sich thematisch auf Mahler beziehen. Dadurch werden Mahlers Werke in neuem Licht erscheinen und durch unendlich viele neue Facetten bereichert.
Gustav Mahler und Andrea Lorenzo Scartazzini verbindet ihre emotionale Tonsprache, obgleich sie über 100 Jahre an Lebenszeit trennen. Mahler, 1860 in Böhmen geboren, ist einer der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik. Seine Werke waren wegweisend für die Vertreter der Zweiten Wiener Schule und Wegbereiter der Neuen Musik.
Mahler war auf der Suche nach der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmittel. Er brach die traditionelle Form der Sinfonie auf und schuf groß angelegte Werke, in denen er die Tonsprache erweiterte, ohne auf die Tonalität zu verzichten. Er bezog damals als niedere Kunst geltende Weisen wie Kaffeehauslieder und slawische Volksmusik ebenso in seine Kompositionen ein wie militärische Marschmusiken und Trauermärsche. In stilisierten Naturlauten spiegelt sich Mahlers große Liebe zur Natur wider, aus der er viel Kraft und Inspiration schöpfte. Ein Volksliedton prägt viele seiner Themen. Mahler wollte nicht nur Musik schaffen, sondern den ganzen Kosmos gestalten. Oder wie er es mit seinen eigenen Worten ausdrückte: „Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.“ Zu seinen Lebzeiten war Mahler einer der berühmtesten Dirigenten, und in Personalunion als Regisseur und Dirigent setzte er in seiner langjährigen Stellung als Direktor der Hofoper in Wien erstmals so etwas wie ein modernes Regietheater um.
Eine eigene Oper hat Gustav Mahler nicht geschrieben, wohingegen dieses Genre den bisherigen Schwerpunkt des kompositorischen Schaffens von Andrea Lorenzo Scartazzini bildet.
Scartazzini, geboren 1971 in Basel, ist ein mehrfach ausgezeichneter Komponist der jüngeren Generation. Zu seinen Preisen zählen der Studienpreis der Ernst von Siemens Stiftung München, der Jacob- Burckhardt-Preis der Goethe- Stiftung Basel sowie der Alexander Clavel-Preis Riehen.
Seine Stücke werden an bedeutenden Festivals (u. a. Salzburger Osterfestspiele, Lucerne Festival, Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt, Prager Premieren), an renommierten Häusern (Deutsche Oper Berlin, Theater Basel) durch namhafte Ensembles und Orchester aufgeführt (u. a. Ensemble Intercontemporain, Collegium Novum Zürich, Kammerorchester Basel).
Die Tonsprache Andrea Lorenzo Scartazzinis und Gustav Mahlers ist sehr farbig, bildgewaltig, sinnlich, dicht, unmittelbar, von aufwühlender Emotionalität. Beide schätzen das Gesangliche in der Musik und inkorporieren es immer wieder in unterschiedlichster Art und Weise in ihre Kompositionen – beste Voraussetzungen für die drei Jenaer Sängerensembles. Scartazzini ist ein kongenialer Partner, um mit Mahlers dramatischer, vielschichtiger Musik heute in Kontakt zu treten.
Die Kompositionen, die Andrea Lorenzo Scartazzini für Jena schreiben wird, beziehen sich auf die aufgeführten Sinfonien Gustav Mahlers und werden an den jeweiligen Konzertabenden von der Philharmonie Jena uraufgeführt. Gleichzeitig sind Scartazzinis Kompositionen eigenständige Werke, die unabhängig vonden Mahlerschen Kompositionen aufgeführt werden können. Mit jeder Aufführung einer Sinfonie von Mahler wächst Scartazzinis Werk, bis daraus ein einziges groß angelegtes Orchesterstück entsteht. Alle Kompositionen zusammen können zukünftig entweder als eigenständiges, zusammenhängendes, mehrsätziges Werk aufgeführt werden oder in kleineren Versatzstücken. Damit trägt Scartazzini der Jetztzeit, der Modernität Rechnung, die vom Menschen größte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich stetig verändernde Situationen fordert.
Andrea Lorenzo Scartazzini äußerte sich zu seiner Kompositionsweise wie folgt:
"Zum Werk Gustav Mahlers hege ich eine tiefe Liebe, seine Symphonien sind tönende Gefährten seit vielen Jahren und bei jedem Wiederhören bin ich ergriffen von der schieren Fülle an Inspiration und Emotionalität. Ich werde mich an diesem Kosmos nicht abarbeiten, werde nichts zitieren oder kommentieren, wozu auch! Aber ich werde mit Lust auf die illustre Nachbarschaft reagieren, mich abgrenzen oder annähern im Sinne einer übergeordneten Dramaturgie. So soll beides gelingen: das Eigene schaffen und die Brücke schlagen."
Der Mahler-Scartazzini-Zyklus endet nicht bei der einmaligen Idee, Sinfonien Mahlers ein modernes Pendant mit neuen Werken von Scartazzini gegenüberzustellen. Nein, dieses Projekt setzt sich in Workshops, Treffen mit dem Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini und dem neuen Generalmusikdirektor Simon Gaudenz, in Podiumsdiskussionen, mit Besuchen bei Schülern in der Schule und vielen weiteren Aktionen fort.
Nehmen auch Sie an diesem einzigartigen Projekt teil! Wir freuen uns auf Sie.
Saison 19-20
"Eine neue Welt aufbauen"
In der Spielzeit 2019.2020 ! vokal ! erklingen die dritte und vierte Sinfonie Mahlers, zu denen der COMPOSER IN RESIDENCE, Andrea Lorenzo Scartazzini, weitere, ergänzende Werke komponieren wird.
Der Zyklus findet nicht nur in Jena sondern auch in der internationalen Musikszene großes Interesse, die Zahl der Anfragen für Gastspiele der Jenaer Philharmonie mit ihren Mahler-Scartazzini-Programmen wächst stetig. Einer der Höhepunkte der kommenden Spielzeit ist sicher die Einladung zu den Gustav-Mahler-Festwochen Toblach, wo die Jenaer Philharmonie am 18. Juli 2020 mit Mahlers erster Sinfonie und Scartazzinis „Torso“ zu Gast sein wird.
Die Korrespondenz zwischen Andrea Scartazzini und Generalmusikdirektor Simon Gaudenz gibt einen Einblick in den Arbeitsprozess und dokumentiert den Entstehungsprozess dieser Kompositionen, die – um es mit Mahlers eigenen Worte zu sagen – versuchen, „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine neue Welt aufzubauen“.
27. Januar 2019, 20:17 Uhr
Lieber Simon
Wie du weißt, konnte ich das Stück zur zweiten Mahler-Sinfonie bereits vor Weihnachten abschließen. Es hat allerdings etwas gedauert, bis ich gestern mit der Reinschrift fertig geworden bin, aber nun ist sie da!
Morgen gehe ich zum Copy-Shop, scanne das Manuskript und schicke es dem Bärenreiter-Verlag zur Digitalisierung. Selbstverständlich werde ich die Scans für einen ersten Eindruck auch dir per Wetransfer weiterleiten.
Vorab schon einmal ein paar Hinweise: Das Stück beginnt nicht bei Null, sondern es setzt gleichsam auf dem Höhepunkt des Vorgängerstücks „Torso“ ein. Die letzten paar ruhigen Takte von „Torso“ mit dem Übergang zu Mahler 1 fallen weg, so dass es im Moment des größten Energieschubs direkt weitergeht und die Kraft, die sich in der langen Steigerung von „Torso“ aufgebaut hat, nun vollends entfaltet wird.
Der Name diese zweiten Stücks des Zyklus heißt übrigens „Epitaph“, also das griechische Wort für „Grabinschrift“. Dies als Bezugnahme auf Mahlers „Auferstehungssinfonie“ und vor allem auf deren 1. Satz, den Mahler ja selbst als „Todtenfeier“ bezeichnet hat.
Am Schluss der Komposition gibts eine Überraschung. Rate mal, welche? (Du selbst hast mich drauf gebracht).
Herzlich
Andrea
28. Januar 2019, 09:23 Uhr
Lieber Andrea,
Ich weiß, worauf Du anspielst ...! Nachdem Du Dich in TORSO von meinem Wunsch nach Fernmusik inspirieren ließest, hast Du nun wahrscheinlich tatsächlich den Chor eingesetzt? Mahler selbst wollte doch „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“, und nun nutzt Du sie auch. Wunderbar!
Finden sich wieder solistische Besonderheiten wie die Trompeten im ersten Stück? Mittlerweile hast Du ja einen genauen Eindruck vom Orchester und seinen MusikerInnen, diese Erfahrung wird wahrscheinlich einen Einfluss auf die Klangvorstellung Deiner zukünftigen Werke ausüben. Spielt auch der Saal des Volkshauses mit seiner Atmosphäre und Akustik eine Rolle? Bin gespannt!
Liebe Grüße,
Dein Simon
1. Februar 2019, 14:45 Uhr
Lieber Simon
Du hast’s erraten. Kurz vor dem Ende des Stücks, am Übergang zu Mahler, setzt der Chor ein. Bezüglich Text bin ich wieder bei Rilke fündig geworden, der mir ja schon einen wichtigen Anstoß für „Torso“ gegeben hat. Es sind knappe Verse, die inhaltlich aber ausgezeichnet zur zweiten Sinfonie von Mahler passen. Und in seiner Kürze hat das Gedicht etwas von einer (Grab-)Inschrift, weshalb ich den Titel „Epitaph“ gewählt habe.
Das Gedicht lautet:
"Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht."
Schön, nicht wahr?! Und gleichzeitig ist es auch unheimlich. Jedenfalls bin ich ganz glücklich, es gefunden zu haben.
Was deine Frage nach solistischen Besonderheiten angeht: Ja, es gibt ein längeres Cello-Solo, das dann in die Chorstelle mündet. Das Solo ist von aufbegehrendem Charakter, als wehrte es sich gegen die Unabänderlichkeit des Todes, bis es schließlich resigniert. Das Solo zu schreiben war mir wichtig. Ich denke, es ist mit seinen vielen weit gespannten Doppelgriffen anspruchsvoll zu spielen, fast eine Art Abmühen am Instrument, so wie sich der einzelne Mensch auch an diesen großen Fragen abmüht.
Was denkst du, soll ich es, bevor es gedruckt wird, eurer Solo-Cellistin vorlegen, damit sie es mal durchgehen und allenfalls Änderungen vorschlagen kann?
Den Saal und die Akustik habe ich sehr geschätzt, es ist ein prächtiger und festlicher Saal, und es ist schön zu wissen, dass die Stücke dort gespielt werden. Allerdings habe ich diesmal keine Raum-Musik konzipiert. Und was das Orchester angeht: Wie du weißt, hatte ich einen sehr positiven Eindruck, und das motiviert mich natürlich. Je besser ich die MusikerInnen kennenlerne, umso konkreter wird der Einfluss auf die Klangvorstellung werden.
Hab einen schönen Tag, herzlich!
Dein Andrea
4. Februar 2019, 21:02 Uhr
Lieber Andrea,
In direktem Kontakt mit dem Komponisten zu stehen, wird mit Sicherheit geschätzt. Ich finde auch schön, dass Du Dich persönlich mit unseren Musikern beschäftigst, nicht nur mit den Instrumenten. Also schreibe Henriette Lätsch am besten gleich persönlich an, sie wird sich freuen.
Übrigens, wieder ein schönes Gedicht und daraus folgend eine Frage, die gerade in mir auftaucht: wie manifestiert sich konkret, dass Dir so ein Gedicht Inspiration für die Komposition gibt? Lässt sich das beschreiben?
Herzlich,
Dein Simon
4. Februar 2019, 22:37 Uhr
Lieber Simon
In diesem Fall war mir schon klar, wie die Musik klingen soll. Ich habe also kein Gedicht gesucht, um mich davon inspirieren zu lassen, sondern einen Text, der das (mit)ausdrückt, was in der Musik angelegt ist. Und schliesslich bin ich dann auf diese drei Rilke-Verse gestoßen, welche so lapidar die hintergründige Präsenz des Todes in allem Leben evozieren.
Manchmal funktioniert es natürlich aber auch umgekehrt: Da wird dir ein Text zu einem Gegenüber, das dich führt und Anstöße gibt. Und das Musik in dir ausl.st, die du so sonst nicht schreiben würdest.
Liebe Grüße und gute Nacht!
Dein Andrea
11. Februar 2019, 12:49 Uhr
Lass uns vor dem Hintergrund Deiner Antwort einen Blick in die Zukunft werfen, lieber Andrea:
Wird auch in den nächsten Werken das Wort einen – wie auch immer definierten – Anteil haben? Die kommenden Mahler-Sinfonien würden sich mit ihrem vokalen Schwerpunkt ja geradezu dafür anbieten.
Wobei, unserem Publikum wird sich die Musik auch ohne den Text erschließen, denn es gilt ohnehin: „Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten“ (Mahler).
Du wirst in Jena nun mehr und mehr ein Komponist zum Anfassen! Die Menschen hören Deine Musik immer und immer wieder, und so entwickelt sich eine Vertrautheit. Mir ist dieser Bezug sehr wichtig, und ich bin Dir für jeden Anstoß dankbar, der mich und unser Orchester, Dich und Deine Musik noch enger mit den Jenaern und Jenensern, für die wir ja musizieren, verbindet.
Alles Liebe, Simon
13. Februar 2019, 18:05 Uhr
Lieber Simon
Es läge tatsächlich nah, im dritten und vierten Stück das Vokale einzubeziehen, weil Mahler es auch einsetzt. Allerdings habe ich den Ablauf dieser Stücke vorerst ohne Singstimme oder Chor geplant. Lass mich mal weitergrübeln und schauen, ob die weitere Entwicklung doch plötzlich danach verlangt.
Ja, die Verbindung zum Jenaer Publikum wird mit jedem Anlass stärker werden und auch die Möglichkeit geben, sich kennenzulernen und auszutauschen. Ich freue mich drauf!
Herzlich, Andrea
Saison 21-22
"Die Musik braucht ein Ohr"
Der Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini ist der Jenaer Philharmonie inzwischen eng verbunden. Seit dem Start des vielbeachteten Zyklus mit allen Mahler-Sinfonien, zu denen Scartazzini jeweils ein neues, assoziiertes Orchesterwerk schreibt, wächst die intensive Beziehung zu den Musikerinnen und Musikern des Orchesters, die mit ihm gemeinsam auf die Entdeckungsreise in den immer vertrauter werdenden Mahler-Scartazzini-Kosmos gehen. In dieser Saison stehen, nachdem sie schon für die letzte Spielzeit geplant waren, die Uraufführungen seiner Werke zu Mahlers vierter und fünfter Sinfonie bevor.
Scartazzini hat uns einige Gedanken über Einsamkeit und Gemeinschaftserlebnisse in seinem Metier geschrieben:
"Ich setze mich hin, blende den Alltag aus, werde leer, warte, bis sich ein Gedanke regt. Ich spinne ihn weiter, fühle, male mir aus, höre in mich hinein, lasse mich treiben, wäge ab, beginne von vorne und irgendwann setze ich den Stift aufs Papier. So entsteht die Musik, Note für Note, Takt für Takt.
Und immer bin ich mit mir allein. Das ist schwer, wenn die Ideen stocken und die Zeit kaum vergeht. Und es ist schön und beglückend, wenn aus der Stille des Alleinseins schließlich eine tönende Fülle erwächst.
Im Zusammenhang mit dem Jenaer Mahler-Scartazzini-Zyklus erlebe ich diesen kreativen Prozess auf eine besondere Art und Weise anders. Da bin ich weniger allein, denn ich habe mit Gustav Mahler und seinen Werken ein Gegenüber, das auch über die Distanz von mehr als hundert Jahren zu mir spricht. Der Ausgangspunkt für ein neues Stück von mir ist stets eine seiner Sinfonien: Ihre Gedankenwelt, ihr Bau, ein bestimmter Satz; all das sind Impulse, die mich zuletzt zu meinem eigenen Musikstück führen.
So hat mich seine Vierte, die mit dem Wunderhorn-Lied „Das himmlische Leben“ endet, dazu bewogen, auch ein Orchesterlied zu schreiben, eine Vertonung von Joseph von Eichendorffs „Abendständchen“. Und wie Mahler durch Anklänge an Kinderlieder und durch das Bild des Schlaraffenlandes eine Art vermeintliche Naivität erschafft, taucht auch „mein“ schlichtes Abendständchen in eine weit entrückte Sehnsuchtswelt ein.
Je näher eine Aufführung rückt, umso mehr wird aus dem „Allein“ auch ganz konkret ein „Zusammen“. Die Gespräche mit GMD Simon Gaudenz intensivieren sich, wir tauschen uns telefonisch über den allgemeinen Charakter der neuen Komposition aus, wir diskutieren Klangfarben, Klippen, Besonderheiten und Details.
Dann kommt der Moment der Probe. Jena statt Basel, der üppig schöne Saal des Volkshauses statt meines Arbeitszimmers, Simon Gaudenz, die Jenaer Philharmonie – man findet zusammen und endlich erklingt das still Erdachte zum ersten Mal. Es ist vielleicht einer der faszinierendsten und auch aufregendsten Aspekte des Komponisten-Berufs, diesen Übergang zu erleben: Dass sich der „Fliegendreck“ der Noten, dieses eng bedruckte Gittersystem der Partitur, durch ein Kollektiv von Musikerinnen und Musikern in ein unsichtbares, vergängliches, mal donnernd lautes, mal ätherisch feines Klang-Gewebe verwandelt; dass abstrakte Anweisungen aus Punkten, Strichen und Linien ein Orchester interagieren lassen wie eine komplexe Hochleistungsmaschine, präzise, sekundenbruchteilgenau und zugleich atmend und beseelt wie ein Lebewesen.
Im vielfältigen Zusammenspiel der Instrumente, im Wechsel von Solo zu Tutti offenbart sich, wie sehr „allein“ und „zusammen“ sich gegenseitig bedingen. Aber erst im Konzert, erst im Gemeinschaftserlebnis der Aufführung erfahren alle diese Anstrengungen ihren höheren Sinn. Die Musik braucht das Ohr, ohne das sie ein Zeichen wäre, (be)deutungslos."
Saison 22-23
"Weil in der Musik Vieles zählt"
Längst erwarten die Musikerinnen und Musiker der Jenaer Philharmonie genauso wie ihr Publikum mit Spannung die jeweilige Fortsetzung des Mahler-Scartazzini-Zyklus, in dessen Rahmen der Schweizer Komponist Andrea Lorenzo Scartazzini jeder Sinfonie Gustav Mahlers eine eigene Orchesterkomposition gegenüberstellt.
Dem Hörer wie dem Interpreten eröffnet er damit einen Kosmos von Bezügen, Korrespondenzen und Assoziationen, die nicht zuletzt mit Mahlers eigenem Anspruch einhergehen, mit jeder seiner Sinfonien eine „ganze Welt“ zu erschaffen. Eine Welt, die Scartazzini seinerseits spiegelt, kommentiert und ins Jetzt überträgt.
Die Fortsetzung dieser Entdeckungsreise, die nicht zuletzt dazu anregt, in (scheinbar) Bekanntem neue inhaltliche Aspekte, konstruktive Verbindungen und tönende Details wahrzunehmen, findet in dieser Spielzeit mit Mahlers Sinfonien Nr. 6 und 7 statt, denen Scartazzini je ein korrespondierendes eigenes Werk zur Seite stellt. Überraschende Brückenschläge wie auch Momente von Kontrast und Konfrontation inklusive.
Wer die vierte Episode des Zyklus verpasst hat oder sie erneut erleben möchte, kann im Übrigen Mahlers 4. Sinfonie in Kombination mit Scartazzinis „Incantesimo“ im Rahmen von Gastspielen der Jenaer Philharmonie am 22. April in Worms und/oder am 23. April 2023 in Mülheim an der Ruhr hören.
Welche Rolle spielen Zahlen im Kompositionsprozess? Passend zum Spielzeitmotto „ZahlenSpiele“ gewährt uns Andrea Lorenzo Scartazzini Einblicke in seine Arbeit:
"Nicht selten werde ich gefragt, ob ich beim Komponieren rechne, zähle oder mathematisch denke …
Weil Musik auf zeitlichen Abläufen basiert und die Zusammenklänge im Orchester genauestens abgestimmt sein müssen, ist die Organisation der Partitur ohne rechnerische Systematik natürlich undenkbar: Tempoangaben, Taktarten, rhythmische Verhältnisse, Dauern, Tonhöhen – all das ist durchdrungen von der ordnenden Kraft der Zahlen. Beim Komponieren sind sie ständige Begleiter: Soll ein Akkord drei-, vier- oder fünfstimmig sein? In wie viele Teile (Pulte) muss ich die Streicher für einen besonders vielstimmigen Klang teilen, sind Doppelgriffe dazu nötig? In welcher Relation stehen die gewählten Tempi zueinander? Solche und andere Fragen bringen ständig Zahlen ins Spiel; sie sind Teil des Entstehungsprozesses eines Stücks. Mathematik im eigentlichen Sinne ist das aber natürlich nicht.
In früheren Stücken habe ich zuweilen zögerlich mit der Fibonacci-Folge [1] experimentiert; auch Experimente mit „Goldener Schnitt“-Proportionen [2] gab es, doch mittlerweile stelle ich ein solches Vorgehen bei mir persönlich in Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob Musik dadurch besser wird oder mehr zu uns spricht, weil sie solcherart organisiert ist. Natürlich klingt ein Verweis auf proportionale oder algorithmische Konzepte erst mal beeindruckend, weil dies als Gütesiegel für die Qualität einer Komposition herhalten kann. Dass es zu einem intensiveren Hörerlebnis führt, konnte ich allerdings nicht immer feststellen.
Es gibt aber auch eine Stimmigkeit auf anderer Ebene, nämlich dann, wenn sich aus dem Kompositionsprozess heraus auf ganz natürliche Art eigene Verhältnisse ausbilden. Wenn Teile sich fügen, Symmetrien oder Entsprechungen aus sich heraus entstehen, ohne dass sie dem Stück als strukturbildende Maßnahme vorweg aufgepfropft werden.
Es mag rätselhaft klingen, aber im besten Fall erschafft sich eine Musik ihre eigene Gestalt wie ein Organismus, und als Komponist fühlt man sich in solchen Momenten eher in der Rolle eines Beobachters statt eines Schöpfers, der beständig willentliche Entscheidungen trifft. Man sieht dem Stück, das man schreibt, sozusagen beim Wachsen zu.
Vielleicht ist das der berühmte Musenkuss, auf den man stets hofft und der die Arbeit des Zählens und Vermessens erst beseelt."
[1] Die unendliche Folge natürlicher Zahlen, die mit zweimal der Zahl 1 beginnt und in der im Anschluss jeweils die Summe zweier aufeinanderfolgender Zahlen die danach folgende Zahl ergibt.
[2] Der Goldene Schnitt ist eine seit der Antike bekannte Gestaltungsregel und bezeichnet das Teilungsverhältnis zweier Größen/Abschnitte zueinander. Diese Teilung gilt als ausgewogenes Leitmaß und wird vom Menschen als besonders harmonisch empfunden.
Saison 23-24
"Eine Sinfonie der Tausend"
Zum Jubiläum "90 Jahre Jenaer Philharmonie"
Wenn am 8. März 2024 unter dem Taktstock von Generalmusikdirektor Simon Gaudenz die ersten Takte von Gustav Mahlers 8. Sinfonie erklingen, schließt sich ein beeindruckender Kreis von neunzig Jahren bewegter und bewegender Geschichte.
Mahlers opulentes, überschäumendes und doch gleichzeitig auch so nachdenkliches und feinsinniges Werk auszuwählen, um das Jubiläum der Jenaer Philharmonie zu feiern, ergibt gleich mehrfach Sinn.
Mit dem Mahler-Scartazzini-Zyklus stellt das Orchester in den letzten Jahren kontinuierlich seine bemerkenswerte künstlerische Leistungsfähigkeit unter Beweis. Durch die jeweilige Uraufführung der sensibel in Mahlers Klangwelt einführenden, vorangestellten Orchesterstücke von Andrea Lorenzo Scartazzini ist zudem ein Coup gelungen, der große Resonanz in der internationalen Musikszene erzeugt. Die CD-Einspielung des gesamten Zyklus vermag verstärkt Aufmerksamkeit auf die enorme Qualität des Jenaer Klangkörpers zu lenken, der gleichzeitig durch seine umfangreiche Gastspieltätigkeit eine sympathische Botschafterfunktion für Jena und den Freistaat Thüringen ausübt.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Jenaer Philharmonie sind zudem die angeschlossenen Chöre. Auch deren kontinuierlicher Beitrag für das reiche Repertoire der Jenaer Konzertprogramme kann nicht spektakulärer gefeiert werden, als mit der Aufführung von Mahlers 8. Sinfonie, die für alle drei Chöre eine große Herausforderung und ein echtes Sängerfest darstellt.
Das oft als "Sinfonie der Tausend“ bezeichnete Werk Mahlers feiert die Gemeinsamkeit und das Zusammen. Das umfangreiche Werk ist nur mit Kooperationen sinnvoll zu bewältigen, und so kann das Jubiläum der Jenaer Philharmonie gemeinsam mit der Robert-Schumann-Philharmonie und dem Opernchor der Theater Chemnitz, dem Monteverdichor Würzburg und dem Nationalen Akademischen Knaben- und Männerchor Lviv "Dudaryk“ begangen werden.
Und schließlich ist es im Jahr 2024 eben Gustav Mahler, mit dessen Werk die Stadt Jena ihr eigenes Orchester feiert. Ein Richard-Wagner-Abend war es, mit dem das neugegründete Orchester am 29. November 1934 das erste Konzert bestritt. Dass es ein eigenes, städtisches Orchester in Jena gab, war jahrzehntelang gefordert worden. Dass es ausgerechnet der nationalsozialistische Oberbürgermeister Armin Schmidt war, der sich mit der Gründung eines städtischen Kulturamts und des Städtischen Sinfonieorchesters Jena als durchsetzungsstarker NS-Kulturpolitiker profilieren konnte, ist eine Hypothek, die zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte verpflichtet.
Auch deswegen feiert die Jenaer Philharmonie ihr neunzigjähriges Jubiläum mit dem 1934 von Nazis verbotenen Werk Gustav Mahlers, des jüdischen Komponisten, der wie kein zweiter die Musikgeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts bereichert und geprägt hat.
Saison 24-25
"Der Mahler-Scartazzini-Zyklus als CD-Reihe"
Zehn Uraufführungen des bedeutenden Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini, die den zehn Sinfonien Gustav Mahlers unmittelbar vorangestellt werden – das ist das weltweit einzigartige Vorhaben der Jenaer Philharmonie und ihres Generalmusikdirektors Simon Gaudenz.
Am 17. März 2023 erschien das erste Doppelalbum mit Mahlers Sinfonien Nr. 4 und Nr. 5 sowie Scartazzinis Werken „Incantesimo“ und „Einklang“, gefolgt vom zweiten Album am 24. November 2023 mit den Sinfonien Nr. 2 und Nr. 3 sowie den Scartazzini-Prologen „Torso“, „Epitaph“ und „Spiriti“. Das dritte Album mit Mahlers Sinfonien Nr. 6 und Nr. 7 sowie Scartazzinis „Omen“ und „Orkus“ wurde am 1. März 2024 veröffentlicht. Am 6. Juni 2025 erschienen die Teile acht und neun mit Scartazzinis Orchesterwerk „Enigma“ als Prolog zu Mahlers Sinfonie Nr. 9 sowie der Vokalkomposition „Anima“ für Alt, Chor und Orchester als Eingangswerk zur monumentalen Sinfonie Nr. 8 („Sinfonie der Tausend“). Am 21. November 2025 folgt das abschließende Album mit den Teilen eins und zehn. In dieser zehnten und letzten Einspielung erklingen Mahlers Adagio aus der Zehnten Sinfonie sowie alle zehn Kompositionen Scartazzinis. Damit kehrt sich zum Abschluss die zeitliche Perspektive zwischen den beiden Komponisten um – der Klang der Gegenwart öffnet die Tür in die Zukunft.
"Die Jenaer Philharmonie ist ein hervorragendes Orchester mit fabelhaften Solisten, die wunderbare Farbmischungen zaubern."
FONO FORUM (Sinfonien Nr. 4 und 5)
"Eine so musizierfreudige, pointensichere und satte Aufnahme dieser beiden Mahler-Sinfonien ist selten."
DAS ORCHESTER (Sinfonien Nr. 4 und 5)
"Diese Einspielung ist von herausragender Qualität und braucht den Vergleich mit den großen Interpreten der Vergangenheit keineswegs zu scheuen."
ONLINE MERKER (Sinfonie Nr. 6)
Stimmen zum Zyklus
"Scartazzinis Emotionen"
Solo-Cellistin Henriette Lätsch im Gespräch
„Dass wir Gustav Mahlers Sinfonien aufnehmen dürfen und dabei Ergebnisse in dieser Qualität abliefern können, freut uns sehr und macht uns ungemein stolz. Die Jenaer Philharmonie wächst sehr an dieser großartigen Aufgabe. Man kann uns dabei zusehen und -hören, wie wir gerade von Jahr zu Jahr ein bisschen besser werden. Durch die ständigen hohen Anforderungen während der CD-Aufnahmen und natürlich auch bei der sonstigen Probentätigkeit für Konzerte mit Simon Gaudenz und all den anderen großartigen Dirigentinnen und Dirigenten scheinen wir gerade sehr gut unseren Fokus und unsere Konzentration zu trainieren. Wir hören sehr aufmerksam aufeinander und kommen nach meinem Empfinden qualitativ ungeheuer voran.
Mit Andrea Lorenzo Scartazzini zu arbeiten, ist für uns Musikerinnen und Musiker wirklich angenehm. Vor den Orchesterproben schildert er uns immer, was seine Intentionen bei dem jeweiligen neuen Stück sind, und öffnet uns mit diesen Vorstellungen meist noch einmal eine ganz neue Ebene für die Interpretation. Er geht auf alle Fragen ein, gerade auch was meine intensive Arbeit mit ihm am Cellosolo aus ‚Epitaph‘, vor der zweiten Mahler-Sinfonie, betrifft. Lange vor den Proben und dem Notendruck hat er mir schon die handschriftlichen Noten geschickt, mit der Bitte zu beurteilen, was technisch auf dem Cello möglich ist und was nicht. Meine kleinen Änderungsvorschläge hat er bereitwillig angenommen. Das Solo ist schon wirklich herausfordernd, vor allem auch wegen der Vierteltöne, die eine eigene Spieltechnik und eine ganz andere Herangehensweise des Gehörs erfordern! Wir haben die Stimme dann gemeinsam so eingerichtet, dass alles gerade eben spielbar ist.
Was mir persönlich wirklich gefällt, ist die Emotionalität seiner Musik. Mich berühren viele Stellen der Kompositionen, und ich denke, dass es auch dem Publikum so geht. Hilfreich ist dabei, dass man die Stücke mehrfach hören kann, weil wiederholt zwei bis drei Kompositionen Scartazzinis zusammengefasst vor einer Mahler-Sinfonie erklingen. Durch das Wiedererkennen kann die Musik eine stärkere Wirkung entfalten. Andrea Lorenzo Scartazzini komponiert meiner Ansicht nach sehr publikumsfreundlich. Die Effekte sind emotional sehr eindeutig und sprechen die Menschen ganz direkt an. Es geht bei Scartazzini nicht bloß um die technische Realisierung irgendeiner komplizierten Partitur.
Beim Cellosolo von ‚Epitaph‘ haben mich Scartazzinis komponierte Emotionen ausgesprochen stark bewegt. Das Solo soll das menschliche Erleben des Todeskampfes darstellen, der Titel ‚Epitaph‘ bedeutet ja ‚Grabinschrift‘, dazu ist dem Werk noch ein Rilke-Text vorangestellt. Scartazzinis Vorstellungen zu jedem der Abschnitte des Solos sind dabei sehr konkret, er hat sie mir detailliert geschildert. Viele Menschen haben schon einmal den Todeskampf eines nahen Angehörigen miterleben müssen. Das Solo zu spielen und dabei in jedem Ton zu spüren, was gemeint ist, diese Verbindung von Kunst und persönlichem Erleben hat sich gerade im Moment der Aufführung für mich extrem stark angefühlt. Es war eine Herausforderung und zugleich eine Art Erleichterung für mich, mit Scartazzinis Musik diese Grausamkeit ausdrücken zu können.“
"Eine eigene Sprache"
Robert Krampe, Scartazzinis Lektor im Bärenreiter-Verlag berichtet
„Als Lektor bin ich der erste, der Einblicke in Andrea Lorenzo Scartazzinis Partituren bekommt, manchmal schon vor dem endgültigen Abschluss der kompositorischen Arbeit, um Fragen über musikalische Inhalte oder die Instrumentation zu klären. Zwischen uns ist über diese Arbeit hinaus ein offener und freundschaftlicher Umgang entstanden. Deswegen freue ich mich auch außerordentlich über die geradezu ideale Konstellation bei diesem Projekt von Jenaer Philharmonie, Simon Gaudenz und Andrea Lorenzo Scartazzini. Es haben sich drei Parteien gefunden, die das Projekt mit vollster Überzeugung tragen und miteinander harmonieren.
Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt, wie Andrea es schafft, angesichts des überwältigenden Mahler-Kosmos immer wieder neue Ideen zu finden und mit seiner ganz eigenen Sprache seine Stellung zu behaupten. Wenn man aus dem Konzert herauskommt, erinnert man sich an Andreas Musik, man hat gewissermaßen noch einen Scartazzini-Geschmack auf der Zunge. Es bleibt etwas haften.
Ich denke, das funktioniert so gut, weil Andrea großen Respekt vor Mahlers Musik zeigt, gleichzeitig aber auch weiß, wer er ist und was er kann. Ihm ist das Attribut ‚Neue Musik‘ nicht so wichtig. Das Musikantische steht für ihn im Vordergrund. Er denkt immer daran, dass er es mit Musikerinnen und Musikern zu tun hat und nicht mit Automaten. Mit jedem Stück gelingt es ihm, eine eigene Welt zu schaffen, die in inhaltlichem Bezug zu den Themen der Mahler-Sinfonien steht. Jedes Stück hat etwas ganz Unverwechselbares. Und trotzdem erkennt man sofort Andrea als Komponisten heraus. Man nimmt durch seine Musik Mahler anders wahr. Das ist fantastisch. Man wird aufgerüttelt und hört nicht nur, was man schon zu kennen glaubt. Aus einer heutigen Perspektive heraus sensibilisiert dieser Vorgang dazu, Mahler neu zu hören. Gerade diesen Aspekt am Mahler-Scartazzini-Zyklus finde ich großartig.“
"Ein fantastischer Raumklang"
Aki Matusch, Tonmeister der Pegasus Musikproduktion, über seine Arbeit
„Die intensive Zusammenarbeit mit der Jenaer Philharmonie, Simon Gaudenz und Andrea Lorenzo Scartazzini mag ich sehr. Ich schätze es auch außerordentlich, im Volkshaus aufnehmen zu können, das uns einen fantastischen Raumklang ermöglicht. Ich finde die Ergebnisse der bisherigen Arbeit, die auf den fertigen CDs zu hören sind, äußerst zufriedenstellend.
Obwohl die Aufnahmezeiten, die uns zur Verfügung stehen, durchaus knapp bemessen sind, wirken die Musikerinnen und Musiker nie gestresst. Sogar wenn wir einmal die Zeit überziehen müssen, höre ich nie irgendwelche Beschwerden. Alle bleiben freundlich und hoch motiviert.
Simon Gaudenz weiß ganz genau, was sein Orchester kann. Wenn er das Gefühl hat, dass die Stärken der Philharmonie noch nicht so abgebildet werden, wie es seiner Meinung nach sein sollte, sucht er unermüdlich weiter nach einer besseren Lösung, nach einem besseren Take oder nach einem natürlicheren Klang. Andrea Lorenzo Scartazzini hat eine unglaublich geschickte Hand, was Klangfarben angeht. Seine Kompositionen sind perfekt auf das Orchester, aber auch auf den Saal abgestimmt. Seine Stücke erzeugen im Zusammenspiel mit dem Volkshaus einen musikästhetisch ungeheuer geschmackvollen Klang. Er ist ein Meister der Instrumentierung und weiß sehr genau, mit welchen Mitteln er welche Klangeffekte schaffen kann.“
"Langer Atem und unbändiger Mut"
Tobias Rothfahl – Fachspezialist Musik der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia
„Die Förderung von Kompositionsaufträgen zählt zu den Kernaufgaben der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Doch nur selten gelangt ein Vorhaben von solch langem Atem und solch unbändigem Mut auf unsere Pulte. Die Entscheidung war rasch gefasst, dass die Stiftung sich für den Mahler-Scartazzini-Zyklus engagieren will. Die Grundidee mag nicht neu sein, ein Werk als zeitgenössisches Echo auf ein historisches Werk zu schreiben.
Doch die weitgespannte, in sich komplexe und facettenreiche Art und Weise, wie sich diese Grundidee im Jenaer Mahler-Scartazzini-Zyklus ausformuliert, dürfte bislang ungehört sein. Wir freuen uns, den weitherum beachteten Zyklus über die Jahre wachsen zu sehen, wünschen dem Jenaer Publikum viel inspirierende Erlebnisse und sind überzeugt, dass die neuen Werke bleibende Kreise über Jena hinaus ziehen werden.“
"Respektvolles Maßnehmen am Mahler-Kosmos"
Andrea Lorenzo Scartazzini – COMPOSER IN RESIDENCE
„Zuletzt, wenn alle meine zehn Kompositionen des Mahler-Scartazzini-Zyklus geschrieben sind, wird die Gesamtdauer dieser Stücke wohl etwas über eine Stunde betragen – fast soviel wie eines der kürzeren sinfonischen Werke Gustav Mahlers.
Es steckt viel Freude, Nachdenken, und ja: natürlich auch Arbeit in diesem Zyklus, und die Vergegenwärtigung des über die vergangenen Jahre betriebenen Aufwands an Zeit und Energie und Herzblut, lässt mich erst recht den Hut ziehen vor der unermesslichen Schaffenskraft Mahlers und seinem umfangreichen Werk.
Eine gute Stunde. Das hätte auch ein ambitionierter Auftrag für ein einzelnes großes Orchesterwerk sein können. Dann wäre die Arbeit daran wohl kontinuierlich über viele Monate erfolgt und das Ergebnis vielleicht eine geschlossene Form mit vielen Rückbezügen gewesen.
Dass es nicht so war, sondern ein Prozess mit Unterbrüchen und Aufführungen der einzelnen Stücke seit 2018, hat diesen Auftrag einmalig gemacht. Es war und ist ein die Kreativität befeuerndes ‚Stop and go‘, bereichert durch die Höreindrücke im Konzert, den Austausch mit Simon Gaudenz und dem Orchester sowie dem steten, gedanklichen Maßnehmen am Mahlerschen Kosmos.
Lagern, Reifen, viele Arbeitsschritte; was Speisen veredelt, trägt auch beim Komponieren Früchte, so scheint mir. Diese Erfahrung durfte ich in Jena machen.“
Der Klang der Gegenwart öffnet die Tür in die Zukunft - Das große Finale
Andrea Lorenzo Scartazzinis großes Orchesterwerk steht vor der Vollendung. Die zehn Bezeichnungen der Sätze, die jeweils einer Sinfonie Gustav Mahlers zugeordnet sind und mit ihr in eine intensive gedankliche und inhaltliche Verbindung treten, erzählen von einer hochphilosophischen Gedankenreise durch eine gleichsam mythologische Welt.
1. TORSO
2. EPITAPH
3. SPIRITI
4. INCANTESIMO
5. EINKLANG
6. OMEN
7. ORKUS
8. ANIMA
9. ENIGMA
10. EINKEHR
In diesen zehn Sätzen, jeder wie ein ganz eigener, unverwechselbarer Raum, wird von tiefsten, menschlichen Seinszuständen erzählt. In der gesamten Spannweite zwischen Tod und Leben, zwischen Ausweglosigkeit und Hoffnung beeindruckt der Schweizer Komponist mit extrem ausdifferenzierten Atmosphären und seiner emotionalen und durchlässigen Musik.